Leben in der Platte!

Exclusiv-Interview mit Meerschwein Chong

"Meerschweinchen im Netz":

"Einen schönen guten Abend, Herr Chong. Vielen Dank, dass Sie die Zeit für ein Interview gefunden haben."

Herr Chong:

"Ja, was tut man nicht alles für die Rassenverständigung. Haben Sie den Löwenzahn mitgebracht? Ich habe so ein leeres Gefühl im Magen." Herr Chong räuspert sich dezent.

"Meerschweinchen im Netz":

"Aber natürlich. Greifen Sie zu, Herr Chong.
Also zu meiner ersten Frage: Sie leben mit Ihrem Rudel im berüchtigten Bezirk M. in einer Plattenbauwohnung. Ist dieser Bezirk nicht bekannt für artfremde Haltung von Meerschweinen? Sind Sie auch davon betroffen?"

Herr Chong:

"Den ersten Teil kann ich bejahen. Unser Rudel lebt in einem idyllisch gelegenen Plattenbau der 80ziger Jahre. Allerdings nennen wir ein komplettes Zimmer unser eigen."

"Meerschweinchen im Netz":

"Wie sind Sie denn zu diesem Luxus gekommen? Sind Sie vornehmer Herkunft?"

Herr Chong:

"Nein, nein. Das hat damit nichts zu tun. Einige von uns stammen zwar vom Adel ab, wie zum Beispiel Prinzessin Mina oder die rote Madame Jody, aber unsere Unterbringung haben wir uns hart erarbeitet.
Aus den Geschichten der Altvorderen weiß ich, dass die erste Zeit bei unseren Futtersklaven schwieriger war. Damals wohnten unsere Futtersklaven noch in Schweineöde. Zunächst stand den ersten Schweinen nur ein umgebauter Käfig mit Anbau zur Verfügung. Unsere Futtersklaven haben sich sehr viel Mühe beim Bau gegeben. Es gab altersgerechte Möbel und einige Überraschungen zur Zerstreuung. Allerdings atmeten unsere Altvorderen immer noch gesiebte Luft und sie konnten nicht weit laufen. Mit großer Überzeugungskraft haben sie mittels Telepathie den Futtersklaven Herr van Barten überzeugt, dass er einen großen Stall baut. Und Herr van Barten hat sich mächtig ins Zeug gelegt und ein doppelstöckiges Gehege mit viel Platz gebaut. Dort bin ich auch mit meinen zwei Brüdern Cheech und Earl Grey zur Welt gekommen.
Ungefähr ein Jahr später fand der Umzug in den Bezirk M. statt. Zeitweilig lebten wir in einem provisorischen Gehege auf dem Fußboden. Was zunächst nur eine Umzugsprovisorium sein sollte, entwickelte sich zur perfekten Lösung. Herr van Barten konzipierte ein einfaches, großes und kostengünstiges Gehege für uns. Wir haben jetzt ganz viel Platz auf mehreren Ebenen zum Toben und Herumflitzen."

"Meerschweinchen im Netz":

"Das klingt ja alles wunderbar."

Herr Chong:

"Ja, das ist es sehr wohl. Schauen Sie, ich habe ein paar Fotos mitgebracht."

Herr Chong:

"Und auch wenn immer wieder etwas Gegenteiliges behautptet wird. Wir Meerschweine lieben Etagenwohnungen. Unsere Loftetagen sind vor allem bei den Schweinedamen Biesdi, Stromboli und Gaia beliebt. Die Kletterei stärkt unsere Muskeln und erfordert eine gute Auge-, Pfote- und Arschkoordination."

"Meerschweinchen im Netz":

"Sehr schön. Meine nächste Frage betrifft die Versorgung. Wie ist denn bei Ihnen die aktuelle Futterlage? Auch hier hört man ja schreckliche Dinge von Meerschweinchen. Es gibt immer noch viele Schweine, die mit Trockenfutter zwangsernährt werden oder unter Heumangel leiden."

Herr Chong:

"Leider, leider. Das ist einfach schlimm. Wir haben unseren Futtersklaven beigebracht, was wir mögen. Heu steht uns immer ausreichend zur Verfügung. Im Sommer schicken wir unsere Futtersklaven auf die Wiese. Dort sammeln sie Löwenzahn und frisches Gras für uns. Im Winter ist das Angebot nicht so vielfältig. Dann müssen wir uns mit Eissalat, Kohlrabiblättern, Fenchel oder Ähnlichem begnügen. Zweimal im Jahr veranstalten wir eine Schnitzeljagd auf Trockenfutter, welches im Gehege im Streu verteilt ist. Schwein Barbossa, der Dummling von uns, ist jedesmal der Verlierer." Chong lacht vergnügt auf.
"Der Trottel latscht an jedem Stück vorbei."

"Meerschweinchen im Netz":

"Jetzt habe ich noch eine persönliche Frage: Sie werden auch "Der Mönch" genannt. Wie ist dieser Name entstanden? Gibt es eine Geschichte dazu?

Herr Chong:

"Schauen Sie mich doch mal an." Herr Chong wackelt auffordernd mit seinem pelzigen Kopf.
"Meine Crest sieht doch einer Tonsur verdammt ähnlich. Und in meinem schlichten schwarzen Pelz wirke ich halt wie ein Mönch. Das heißt aber nicht, dass ich ein Schlaffie bin."

"Meerschweinchen im Netz":

"Aber ich habe gehört, dass Ihr Rudel ein Matriachat ist. Bei Ihnen haben doch die Frauen das Sagen."

Herr Chong:

"Die Männer und ich haben nur eine Menge Respekt vor den Frauen", sagt Herr Chong ausweichend. "Über die sozialen Strukturen sollten Sie unsere Schweinedame Camou befragen. Sie ist immerhin das älteste Stubenschwein.
So, jetzt entschuldigen Sie mich aber. Ich muss wieder zurück, um nach dem Rechten zu sehen. Nicht das ich noch eine Mahlzeit versäume."

"Meerschweinchen im Netz":

"Ja natürlich, Herr Chong. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch."


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